Montag, 4. Juni 2012

Der Ring

Ich bin in der Stadt unterwegs, bummele durch ein paar Geschäfte und Ladenstraßen, so auch durch die neue große Passage mit dem klangvollen Namen "Boulevard Berlin". Nun soll hier aber in zweiter Linie, wenn überhaupt von Ladenstraßen und dergleichen die Rede sein, vielmehr von dem, was ich dort und später erlebe. 


In früheren Zeiten hätte man diskret formuliert, dass mich ein menschliches Rühren erfasst, ich suche also die Toiletten auf. Beim Händewaschen entdecke ich neben dem Waschbecken einen Ring. Ein schöner großer glitzernder Stein, umkränzt von mehreren kleinen, gefasst in Weißgold vermutlich. Ich sehe mich um, ob ich noch jemanden sehe, die den Ring vielleicht vergessen hat, niemand da. Der Stein ist recht groß, wenn es ein echter Diamant ist, ist er sehr sehr wertvoll, auch wenn nicht, ist es für die, die ihn verloren hat so oder so traurig. Es ist wirklich ein schönes Stück und ich denke mir, dass, wenn eine Frau einen Ring zum Waschen ablegt, damit keine Seifenreste sich ablagern, er für sie von großer Bedeutung ist.

Der junge Mann, der sich dort unten um die Sauberkeit kümmert, sagt mir, ich könne den Ring an der Information im Erdgeschoss abgeben, man werde ihn dort für die Eigentümerin aufbewahren. Gesagt, getan. Ich hinterlasse Namen und Adresse und im Laufe des kleinen Gesprächs stelle ich fest, für wie ungewöhnlich das gehalten wird, was ich tue, nämlich einen gefundenen Gegenstand abgeben. Die junge Dame ist der Ansicht, dass es überdies eine Altersfrage ist. Na, herzlichen Dank auch. "Die Jungs und Mädchen, die hier herumlaufen, würden das sicher nicht tun!"  Ich entgegne, das könne man doch nie wissen, man dürfe doch nicht immer nur vom Schlimmsten ausgehen.

Ich habe den Vorfall schon beinahe vergessen, nachdem ich meinem Liebsten davon erzählt hatte, denke ich nicht mehr weiter darüber nach. 

Einige Tage später klingelt mein Handy, am anderen Ende ist eine Dame, die sich mit ihrem Namen vorstellt, der mir allerdings so gar nichts sagt. Erst als sie davon spricht, dass sie ein paar Tage zuvor in Berlin gewesen sei und dass sie dort ihren Ring vergessen bzw. verloren geglaubt habe, fällt es mir wieder ein. Sie ist glücklich und völlig überwältigt davon, dass "es noch ehrliche Menschen auf der Welt gibt" spricht sogar davon, dass ich ihr den Glauben an die Menschen zurückgegeben habe. Der Ring bedeute ihr soviel und sei für sie von so großem Wert, dass ihr die Tränen gekommen seien, als sie erfuhr, dass jemand ihn gefunden und abgegeben habe.

Nun mal langsam - als ich dazu komme, ihr zu antworten, gebe ich zu verstehen, dass ich da gar nicht weiter drüber nachgedacht habe, ich habe einfach den Ring abgegeben und gehofft, dass die Eigentümerin sich daran erinnert, wo sie ihn liegengelassen haben könnte. Das sei doch nichts Besonderes. 

Aber ich freue mich ganz gewaltig, dass diese Frau sich die Mühe macht, mich anzurufen und sich zu bedanken. Das ist nämlich auch nicht alltäglich. Sie hatte nach meiner Adresse gefragt aber nur meine Telefonnummer erhalten. Nun bittet sie mich darum, sie möchte mir mit ein paar Blumen danken. Und so prangt seit ein paar Tagen ein wunderschöner Blumenstrauß, der mit einer Karte mit ein paar freundlichen Dankesworten an mich geschickt wurde, auf unserem großen Tisch  und das ist ein schöner Abschluss für eine so kurze Begebenheit.